Einsame Stimme - Die Welt

Inhalt

1. Die Welt
 

Des Dichters Unendlichkeit

Berliner Landschaft

Nachtzauber

März

Ballade vom Zauberwald

Die Gealterte

Inferno

Die seltsame Nacht

Nach Vorstellungsschluß

Rettung vor den Menschen

Die Gegenstände

Die Schwestern

Der Trunkene

Abschied

Heimkehr des Unsteten

Der Weltenbrand

Phantasie

Der Fiebernde

Winter am See

Der letzte Mensch

Die Rosentragödie

Sonett an eine Kerze

Der Flüchtling

Der Zufall

Die Glocken

An eine Promenadenbank

Die Spieler

Sturm

Die Lebensleugner

Gespenst der Sommerabende

Lied vom Chaos

Novemberabend in der Vorstadt

Vergänglichkeit

Der wundersame Rock

Das Liebeswunder

Weltuntergang

Weltauferstehung

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I. Die Welt

10. 09. 1923

 Des Dichters Unendlichkeit

Die Schlacht wird geschlagen. Das Leben marschiert.
Der Himmel entfaltet seine berauschende Fahne.
Die Zagen klagen. Der Spieler verliert. -
Der Dichter gestaltet die Welt nach seinem Wahne.

Der Wahn wird entlarvt. Der Markt hat den Sieg.
Der Käufer behauptet sein Glück für den Erben.
Die Bettlerin harft: Prophezeiung vom Krieg:
»Was ihr einst raubtet, wird euch künftig verderben!

Verderben für alle: die Erde versinkt.
Die Tempel zerfallen. Sterne dem Meere entsteigen.
Die Wunderkoralle fremdartig blinkt.
Tage erschallen neu, neue Nächte schweigen.

Des Mondes Gong wird geschlagen. Das Leben beginnt.
Der Himmel entfaltet seine junge Fahne.
Die Zagen wagen. Der Spieler gewinnt. -
Der Dichter gestaltet die Welt nach seinem Wahne.


08. 03. 1926

Berliner Landschaft

Brandmauern, kahl und düster, wie vermummt,
gesichtslos, um ein fahles Viereck Sand,
wo eines Baumskelettes Knochenhand
verwest, von eklem Fliegenspuk umsummt.

Ein Krüppelkind hockt unbeweglich dort,
mit greisem Antlitz, Augen blind und blöd,
und lächelt manchmal zynisch, sinnlos, öd,
bedrohlich unbewegt, und spricht kein Wort.

Und ihm zu Füßen liegt ein räudiger Hund,
der sich nicht an das Fliegenvolk getraut,
die Knochen sichtbar unterm Schorf der Haut,
vom Scheuern auf dem Schutte blutig wund.

Die Sonne brennt vergiftet. Schweigen schielt.
Die Großstadt rauscht gespenstisch fern und nah.
Weiß jemand von dem Mord, der hier geschah?
Bald nah, bald fern ein Leierkasten spielt …

Und immer ferner, bis er ganz verstummt. -
Das Kind verschwand. Der Tierkadaver wand
sich noch im Mond, eh' diesen Winkel Sand
die gnadenlose Nacht noch mehr vermummt.


14. 01. 1924

Nachtzauber

Nachts wachsen die Bäume doch zu den Sternen empor,
wenn die Straßen der Stadt zu wandern beginnen,
hinaus vors Tor bis zu Walddickicht und Moor,
wenn sich die Seelen der Gärten auf sich selber besinnen.

Die so lange stumm sein mußten im Tageslärmen,
erzählen sich zärtlich die innigsten Liebesgeschichten,
die verschwiegenen Winkel singen und schwärmen,
die düsteren Höfe werden zu Mondgedichten.

Ein Bote kommt zu ihnen allen herab:
legt er die Hand auf den Brunnen, hochzeiten die Glocken,
öffnet sich auf dem Marktplatz das schienenumgitterte Grab,
dem die Schatten entsteigen, wie Kinder im Zug zu frohlocken.

Meere von Licht sind um die asphaltnen Alleen,
die silbernen Sintflutmöwen schaukeln sich an den Drähten
in der Weltuntergangsstürme gewaltigem Wehn,
die den Menschenschläfern die Häupter herniedermähten.

Doch wieder wird Morgen, ist jedes Wesen allein,
die Wolken blutende Tränen weinen,
die Sterne sterben, die Bäume stehn kläglich klein,
die Gärten stumm, die Straßen sich leblos versteinen.


14. 03. 1914

März
(Für Paul Rilla)

Am Kino blähn sich protzenhaft Plakate
und lärmen eine sanfte Straße laut.
Die ersten Karussells sind aufgebaut:
schon räuspern sich geräuschvoll Apparate.

Mit neuen Bildern kitzelt aufgefrischt
ein Photokasten. Nach den jungen Blüten
ziehn Karawanen mit gezückten Tüten,
indessen das Theater leis' verlischt.

Und Jungfraun wittern Schwangerschaft und werfen
sich aus den Fenstern in den weißen Mond.
Aus Gräbern steigt Don Juan sieggewohnt.
Und Reisesehnsucht rieselt durch die Nerven.


01. 11. 1923

 Ballade vom Zauberwald

Schon lang' war er durch diesen Wald gegangen
und sehnte sich, daß er ein Ende nehme.
Der Abend kam, ihn faßte fast ein Bangen:
er denkt an Räuber und die schwarze Feme.

Was er als Knabe las, war da: Sphinxschreie,
die Bäume drängten enger sich zusammen,
bald blieb kein Durchschlupf mehr für ihn ins Freie,
rings um ihn stand der Fabelwald in Flammen.

Plötzlich lief es wie Klingen durch die Halme,
Musik schien eine List ihm zuzuflüstern,
und mitten in des Waldbrands schwarzem Qualme
war er auf neue Abenteuer lüstern.

Und wußte, daß ihn dieses nicht behalten
und strafen durfte, daß ihn Starkes schütze:
starr wandelt er, die Flammen rings erkalten,
dann trägt ihn eines Moores samtne Pfütze.

Wo alle sanken, die den Schritt verfehlten,
den einen schwierigen von Halt zu Halt:
nur er, als einer von. den Auserwählten,
traumwandelnd glitt leicht aus dem Schreckenswald.

Er lächelt, denn das Buch ist ausgelesen,
es war sehr leicht, sich so hinauszuwagen:
beim letzten Wort war alles nicht, gewesen,
und vor ihm bleicht ein neuer Wald von Tagen.

Die waren zahm. Was sollte er sich bangen!
Kurzweil die Mär von Räubern und der Feme.
Und wieder kam er durch den Wald gegangen
und wünschte sehr, daß dies kein Ende nehme.


22. 06. 1926

 Die Gealterte

Einst nahm ich dankbar ihren Wein entgegen,
ward mir durch sie das Weihnachtsfest verschönt.
Heut' kommt mir ihr Besuch nicht mehr gelegen
ist mir ihr Anblick peinlich und verpönt.
Stört sie mich im Genuß, möcht' ich sie morden
und lasse sie so lieblos von mir gehn,
arm ist sie, alt und häßlich längst geworden,
und ich Verwöhnter will sie nicht mehr sehn.
Jetzt hockt sie wohl, verschmäht und doch geduldig
mit einem Buche von mir abgespeist.
Die Wirtin schilt. Sie blieb die -Miete schuldig.
Der Freund, dem sie vertraut, ist abgereist.
Sie weint nicht mehr. Was kümmern sie noch Wanzen!
Ein tiefres Weh würgt höllisch ihre Scham.
Sie sieht Millionen Fröhliche jetzt tanzen,
indes ihr Liebster nie mehr wiederkam.
Jetzt kann sie auch mein Buch nicht weiterlesen,
sie hat kein Geld, das Gas ward ihr gesperrt.
So träumt sie noch von dem, was einst gewesen,
hat ihre Mädchenzeit hervorgezerrt,
wie die Gefangne Stroh aus ihrem Lager
zur Puppe knetet, die sie kindisch herzt.
Sie streicht an sich herab: wie ist sie mager!
Womit hat sie sich nur ihr Glück verscherzt?
Einst war ihr noch ein Hündchen Leidgefährte,
erfreute ihren Blick ein Blumenstrauß.
Heut' gibt es nichts, das einen Trost gewährte -
verzweifelt schaut sie in die Nacht hinaus.
Auch ich seh traurig auf die Stadt hernieder:
noch bin ich wohlgeborgen und geliebt,
doch kehrt auch meine Jugend nicht mehr wieder,
es naht, wovor es keine Rettung, gibt
Dann. werd' ich meiner Grausamkeit gedenken
Doch, was ich an Verlassenen verbrach,
wird mich noch tiefer in den Tod versenken
und keine Liebe folgt ins Grab mir nach.


12. 10. 1923

 Inferno

Über dir schlagen die Straßen zusammen,
fällst wie geschändet vor einem Plakat.
Rasseln der Wagen und Schaufensterflammen,
ein Pferd, das verendet - ein Attentat, -
eines Kindes Verführung - die Lust eines Alten -
Jagd nach Verbrechen-für Gaukler Applaus:

Alles voll Rührung wirst du behalten,
beweinen, besprechen im sicheren Haus,
mit allem dich schmücken, alles vergessen,
Schmerz läßt du dir schmecken und raubst ihm den Kuß,
die Bettler auf Krücken, der Chor der Maitressen:
sie stören den Gecken in keinem Genuß.

Er lächelt satanisch, ihn schützt seine Sippe:
es geht um die Beete die lästernde Schar.
Sie lächelt satanisch. Im Schilf das Gerippe,
das herbstwindumwehte, fängt kindliches Haar. …,
um es zu tragen vor Schaufensterflammen,
von sich selber geblendet, als maßlosen Staat.

Über dir schlagen die Straßen zusammen,
fällst wie geschändet vor einem Plakat:
eines Kindes Verführung, um dich zu erheben,
um dich zu schmücken mit leichtem Applaus:
alles voll Rührung wirst du erleben.
du Bettler ,auf Krücken -im sicheren Haus!


08. 11. 1922

 Die seltsame Nacht

Du gingst in Gassen voll dunkler Angst und Gefahr,
aus plötzlichen Kellern schlug dir die Falltür ans Knie,
vor dem_ nächsten Schritt versank es und blieb nichtmehr wahr,
und als du beiseite sprangst, trafst du, was grauenhaft schrie.

Wie lebend bewegte sich etwas unter dem Fuß,
es streifte Schlüpfriges deine Wange. Du fielst.
Ein widriges Kichern zerschellte im Echo. Ein- Gruß;
du wendest dich um und weißt, daß zum Spott du verspielst.

Es öffnet sich hoch in der Nacht ein Fenster und flucht.
Du weißt nicht: hast den Erhängten du wirklich erblickt?
Schon scheint dir die eigene Stimme fremd und verrucht,
aus dem Spiegel hat dir ein Teufelsbild zugenickt.

Du merkst, du gehst im Kreise, du kommst nie nach Haus.
Eine Wachsfigur verneigt sich höhnisch und glatt.
Du sprichst automatisch und hast einen falschen Applaus.
Dir zu Ehren findet am Kirchdach ein Rabenmahl statt.

Es löst sich ein Kind aus der Mauer und schnellt zurück,
du hörst den Ton, einen Sprung in den Fluß, du fliehst
und rennst eine blutge Kulisse entlang auf gut Glück,
bis du dich wieder am gleichen Orte siehst.

Da zwingt dich dein Schicksal zu einer Verzweiflungstat:
du schlägst in. die schillernde Scheibe und triffst auf nichts
und stirbst unerklärlichen Todes, denn lächelnd trat
aus der Mitternachtsuhr ein Mann deines Angesichts.


18. 01. 1914

 Nach Vorstellungsschluß

Kulissenschieber schaukeln sich in Sphären
von Schnapsgeruch gemach aus dem Theater.
Schüler, die gern berühmte Mimen wären,
bestaunen den gebauschten Heldenvater.

Die Hautevolee harrt dunkel in Verstecken:
Oh, daß sich die Choristinnen beeilten!
Feuerwehrtypen sickern um die Ecken
und Logenschließer, die beim Klatsch verweilten.

Auf den Direktor wartet eine Sippe,
daß er den allzu öden Stammtisch kröne,
und mit gezücktem Manuskript ein Dichter.

Der Komiker zieht, eine Luderlippe,
heimlich zerflackert die und jene Schöne.
und brummend löscht der Kastellan die Lichter.


08. 03. 1923

 Rettung vor den Menschen

Wer nimmt sich deiner an mit Rast und Zehrung?
Wer hört dir zu, wenn du gesprächig bist?
Beschenkst du wen mit herzlicher Verehrung,
vergilt er dir's mit schlimmer Hinterlist.
Ein Nichts an Schatten bleibt dir als Gewandung,
wenn deine Scham der Nachsicht sich empfiehlt.
Du freutest dich zu früh geglückter Landung:
Seeräuber haben um dein Haupt gespielt.
Noch einmal mußt du dich der Zukunftswelle
preisgeben, um vor Menschen heil zu sein:
Du tauchst zum Meeresgrund, trittst, in die Zelle,
die menschenferne, der Korallen ein.
Die gläserne kann deinen Tag verwahren
und blauen Traum in deine Nächte bau'n.
Wenn über dir die Menschenschiffe fahren,
wirst du sie als unwirklich Wüstes schau'n.
Erhebst du deine Hand, sind sie verloren.
Doch selbst zur Rache lockt es dich nicht mehr:
Dein Herz hat allem Leben abgeschworen,
dein Tod ist jenseits ohne Wiederkehr!


01. 06. 1923

 Die Gegenstände

Die Gegenstände richtig hinzustellen:
die Lampe im Balkon, der sie so liebt,
ans Meer der Gärten, wo die Hunde bellen,
daß sie dem grünen Rauschen Mondschein gibt;

den Krug, daß wir im Dunkel ihn erreichen,
die Uhr, daß uns ihr Atem bald berührt,!
Sie alle sind ja eines Schicksals Zeichen,
das wunderbarlich uns durchs Leben. Führt.

Wir spielen uns als Herren auf, doch diese
sind Herren über uns, uns fromm zu machen,
und werden uns dereinst im Paradiese,
wie wir sie liebten, liebevoll bewachen.

Dort grüßt euch einst der Hunde frohes Bellen,
dunkelt das Pult, an dem ihr Verse schriebt,
wird sich auf den Altan die Lampe stellen,
daß sie dem grünen Rauschen Mondschein gibt.


 März 1926

Die Schwestern

Wir warten ... Auf wen'? ... Wir warten,
daß einer sich getraut.
Jetzt geht er durch den Garten:
du bist, ich bin bald Braut!

Er geht durch die Nelkenbeete
und macht bei der Lilie halt.
Mir und der Schwester Grete
wird's bis zum Nacken. Kalt.

Er tritt durch die gläserne Pforte
und kommt - - die Stiege knarrt.
Wir haben der Liebesworte
jahrelang geharrt.

Er steht vor der Mutter. Und handelt -
und kauft sich die jüngste Magd.
Der Traum ist jäh verwandelt.
Der Zauber hat versagt.

Gemeinsam wird getrauert,
die andre tröstet schon.
Bis jede wieder lauert
verstohlen vom Balkon.

Und lauscht hinab zum Garten,
auf jeden. leisen Laut ...
Wir warten, warten, warten,
daß einer sich getraut!


08. 04. 1922

Der Trunkene

Die Stammtischlampe schwankt an schmaler Strippe,
wie eine Schiffslaterne über Trunk'nen.
Dem stumm im Strom des Alkohols Versunk'nen
erscheint der Nüchternheit bleiches Gerippe.

Er spürt die Knochenhand an seiner Wange,
der Schattentanz der Rauchgespenster taumelt,
unheimlich huscht es auf dem Küchengange,
sein Spiegelbild erhängt im Fenster baumelt.

Und alle Larven an den andren Tischen
flüstern schon drohend wider ihn verbunden -
läßt nicht sein Feind den Ventilator zischen,
ihm das Gelüst nach Ruhe zu verwunden?

Die Wirtin hockt wie eine Totenspinne
und lauert, bis er sich vom Platz entferne;
gewiß, daß er dem Netze nicht entrinne
und stürze abgewürgt in die Zisterne.

Und draußen hinter dem versperrten Tore
graut schon der Morgen, vollends ihn zu morden,
ist mit des neuen Tages lautem Chore
sein stummes Elend wieder wahr geworden.


Ende März 1923

Abschied

Wende dein Haupt zu den Bergen der Stille,
eh' du für immer scheiden mußt!
Rauscht das Laub: »Es geschehe dein Wille!«,
bald wird aus schlimmsten Leiden Lust.

Über dem Kammweg der silberne Streifen
Abendglanzschimmer winkt und winkt -
Schmerzliche Scham: ach, der Sonne Reifen
narrt dich wie immer und versinkt.

Roter Schleier flattert ein Weilchen
grüßend von drüben - dann ist Ruh.
Und vom Totenweiher Nachtveilchen
blüht einem trüben Traumelend zu.

Zieht nicht im Teich auf umdunkeltem Boote
schmerzliches Schweigen die ruhlose Bahn,
und aus dem Seerosenreich steigt der Tote
für einen eigenlobtrunkenen Wahn.

Gellt aus dem Laub erster Weckruf, der schrille,
schreckt erster Schimmer aus dem Park
wende dein Haupt von den Bergen der Stille,
bleibe für immer durch Leiden stark!


07. 04. 1923

 Heimkehr des Unsteten

Wer den Wassern entkam, dem Geröll und dem Abgrund-
                   hauch,
einen Fetzen seines Gewandes am Dornbusch ließ,
grüßt wie ein Wunder über den Giebeln der Essen
                   heimischen Rauch
und der sichren Gartenwege Kies.

Was er verschmähte und schalt, was als Fessel und Fron
                   ihm galt,
scheint ihm. tröstlich Rettung und spätes Geheg zu sein,
und er geht wie im Traum in verjüngter Spiegelgestalt
in das Märchen der Gemächer ein.

Wiehern Rosse im Stall? Und er lief sich die Füße wund!
Aber er lag in der Sonne, hat Flieder am Wege gepflückt,
trabte ein glückliches Stück mit dein herrenlos glücklichen
Hund,
hat sich glücklich zum Bergquell gebückt.

Und erzählt er sich's nun, Legende auf goldenem Grund
mit zärtlichen Farben spielerisch an den Himmel gemalt:
Wer heimfand, was kann er noch tun? Von Sehnsucht nach
                 Unruhe wund,
nach der Sonne. die draußen strahlt,!

Haßt den pünktlich eintönig behaglichen Mittagsrauch.
Liebe liegt um ihn wie ein Verließ,
sehnt sich nach den wilden Wassern, dein Abgrundhauch,
nach dein Dornbusch, wo er mit letzten Fetzen seines
                    Bettelkleides sein wahres Leben ließ!


06. 03. 1923

 Der Weltenbrand

Es jagt dich die Straßen entlang,
umkrallt dich, läßt dein Gemach
verschwinden in seiner Hand. Bang
schaust du dem Sterbezug nach.

Die Rosse, dunkel vermummt,
entführen dein Liebstes vielleicht:
der Sarg versinkt, Glocke verstummt,
kein Gruß dich von drüben erreicht.

Die Lichter erlöschen im Saal,
das Geflüster der Gäste entfliegt
wie ein Rabenschwarm. Lasterhaft kahl
grinst die Birke, die Sintflutwind biegt.

Ein Raubtierauge starrt
durch die Luke der Wolkenwand,
die wankt. Die Turmfahne knarrt.
Hart am Acker jagt hündisch der Brand.

Der den Wall und die Stadt verschlang,
du Flamme selbst branntest die Schmach
deines Lebens zu Asche. Lang'
schaust du dem Opferrauch nach.


 Februar 1921

Phantasie

Ihn überfällt an seinem Tisch
die Fieberwelt gebieterisch:
Dämonen kreisen.
um sein Licht,
nach denen seine Feder bös'
mit leisen, ängstlich leisen
Beschwörungen vergebens sticht.
Dann treibt er durch der Straßen Styx
und Nebel treiben im Gewirre
ihn in die Irre,
und Glocken höhnen hinterrücks.
Und plötzlich steht er
wie gebannt
vor einer großen Kirchenwand:
Beter an Beter
irren Blicks
pressen sich stöhnend an die Scheiben.
Sein Auge dringt
bis dort nicht vor,
wo Sonne blinkt
im Kirchenchor,
und seine Hand
nicht fand und fand
die Klinke an dem Tor.
Er fällt und fällt
durch lauter Traum ...
Der Träumer hält
den Ölzweig noch,
der aus dem Kirchenfenster fiel.
noch frühlingsfrisch.
und hält den. Stern der Sterbenacht,
die schwarz hing um den Schmerzensberg
in welker Hand,
als wieder unterm Lebensbaum
an seinem Tisch
mit greisem Haar er dann erwacht.
Steinern harrt sein Werk.


03. 05. 1925

 Der Fiebernde

Das Sternenpferd entfaltet seine Flügel,
sein Reiter wächst als Flamme in die Nacht:
er hält mit straffer Hand die glühenden Zügel
und stürzt sich lodernd in die Wolkenschlacht.

Tief unten aber, auf der dunklen Erde,
ein einsam, schlaflos Kranker nur erblickt
im Spiegel von dein strahlenden Sternenpferde,
ein jähes Wetterleuchten und erschrickt.

Er fühlt die Feuerhufe ihn zerstampfen,
er hört des Flammenreiters Siegesschrei.
Es brennt die Welt, die Himmelskrater dampfen,
Gewölk flieht irr vor Angst an ihm vorbei.

Wohin soll er, der kleine Mensch, sich retten,
er ganz allein, verlassen jetzt im All,
er wach im Schlaf von Milliarden Betten
in einem Schweigen ohne Widerhall?

Verzweifelt wagt er herrische Gebärde.
als räche er die Jahre all zuvor:
er reißt den Reiter von dem Sternenpferde
und schwingt an seiner Statt sich selbst empor.

Es rast das Roß. Gekrallt an seine Mähne,
nicht abzuschütteln, bleibt des Menschen Hand,
zwingt über Weltenbrand und Liebesträne
den Sprung in Höllen- oder Himmelsland.


17. 01. 1924

Winter am See

Diese Farben über allen Wassern
wenn es an das Überwintern geht,
und der erste kalte Tag mit blassern
Schatten vor des Strandes Winden steht!

Traute man sich gestern noch ein Schreiten
in das warme Gelb des Sees zu,
hüllt man heut sich in die Heimlichkeiten
einer warm verwahrten Stubenruh.

Nur die Farben fließen durch die Scheiben
wie ein letzter Gruß von dem, was starb.
Sind wir feig, weil wir nicht bei ihm bleiben
weil verlassen seine Pracht verdarb?

Einst ist uns ein Abschied auch befohlen,
einsamer als diesem ew'gen Pan,
den im Lenz die neuen Götter holen
auf den frisch erblühten Wiesenplan.

Wer holt uns aus den verschlossnen Grüften
deren Tor um widerruflich zu ?
Tummelt sich sein Chor schon in den Lüften
ist die Stube uns wie Grabesruh.

Unsre Bilder weichen schon mit blassern
Zügen in die leere Wand zurück,
und die Farben über allen Wassern
lügen, auch der Winter wäre Glück.


20. 01. 1923

 Der letzte Mensch

 Laterne vor des .Hauses Tor:
dein Widerschein im Abendschnee
liebkoste mich, der sich verlor
in Düsternis und Einsamweh.

Heimkehr' ich. Kehr' ich wirklich heim,
ist Fremde nicht längst mein Zuhaus?
Allein und Heim wird mir zum Reim.
Kein Mond steht über meinem Haus.

Und schloß ich dann das Tor, verlor
ich auch der Straßenlampe Gruß.
Als ob sich's wider mich verschwor,
bleibt alles stumm, was reden muß.

Feindsel'ges Schweigen mich umhöhnt:
was ich berühre, weicht und flieht.
Einst hatten Geigen mich umtönt -
nun klingt mir auch kein Trauerlied.

Im Schweigen harr' ich. wie verbannt,
nur Traumbild ist Schnee und Latern,
ich hin allein in totem Land:
der letzte Mensch auf letztem Stern!


 02. 10. 1923

Die Rosentragödie

Er wird erblinden, damit ein anderer sieht.
Aber die Rosen hören nicht auf zu blühen . . .
Der Nachtzug durchstürmt die Welt, Hochöfen glühen.
Man wird ihn finden in eine Grube gekniet.
Wie einen Verurteilten, der, die Augen verbunden,
das Ende erharrt, noch einmal sein Leben lebt,
das ganze Leben in diesen ew’gen Sekunden -
die Welt wird verscharrt; sein Stern ins Unendliche schwebt.
Da finden ihn Räuber, die zogen zu goldenem Mord,
um nun sich betroffen um einen Verstörten zu mühen.
Aber die Rosen hören nicht auf zu blühen;
soll er noch hoffen — er war schon äonenweit fort !
Sie reden ihm zu, wie sie ins Weite zu schreiten.
Es hat ihn genarrt, ihn haben Gespenster geschreckt,
er soll sich auf neue kleinliche Streite bereiten,
die Angst wird verscharrt, die dunkle Grube verdeckt.
Die Räuber reiten singend ins Morgenerglühn;
er spürt, wie sehr sie den Hilflosen verachten.
Wie oft noch muß sein Schatten im Nichts übernachten?
Warum hören die Rosen nicht auf zu blühn?


31. 03. 1924

Sonett an eine Kerze

Meine Ohnmacht neigt sich dir, du Docht:
wie du stirbst, wird sie mit dir vergehen.
Wenn der Fremde mir ans Fenster pocht,
werd’ ich dich zum letzten Male sehen.

Legt sich Finsternis um meinen Blick,
nur der Duft von dir verschließt betäubend
meiner Gruft verlornes Weltgeschick,
Funkentraum in alle Winde stäubend.

Bist du ausgebrannt, zittert meine Hand
noch einmal dem Stern am Himmel zu,
zeichnet in die Luft den geliebten Namen.

Spürt schon nicht, wie sie den Leuchter zerbricht. .
Dann spricht zu verlogner Totenruh
neuer Kerze Andacht scheinheilig Amen.


  31. 12. 1920

Der Flüchtling

Ich fühle mich unfaßbar eingefangen
im Schatten einer magischen Gefahr -
daß deine Lippen meinen Mund verlangen,
versank vor ihr und ist schon nicht mehr wahr.

Mich hetzt ein Unbekanntes durch das Leben,
beständig flieh' ich seine Quälerei'n -
und werde mich ihm dennoch einst ergeben
und seiner Gnade ausgeliefert sein.

Schon schleicht sein Schritt gespenstisch auf dem Gange,
schon wag' ich nicht den Blick zum Fenster hin,
das Gaslicht droht in tückischem Gesange
mir immerzu, daß ich verloren bin.

Aus jedem Buch, in das ich mich verstecke,
springt mich mit einem Mal mein Urteil an:
die schwarze Spinne an der Zimmerdecke
webt an dem Netz, das mich erdrosseln kann.

Die Wand versagt des Atems sanfte Grüße,
der nebenan aus deinem Schlummer winkt,
noch einmal schmeck' ich deiner Küsse Süße,
indes mein Haupt ins Meer der Nacht versinkt.

Die kalten Fluten schlagen meine Wangen,
vergebens faßt die Hand nach dem, was war . . .
Im Morgen weht, wo ich untergegangen,
der Frühlingswind über der Liebsten Haar.


11. 07. 1952

Der Zufall

Der Blick auf die Armbanduhr, bewußtlos, nervös,
ohne zu sehen, hastig oft wiederholt,
einen Halt zu haben in dem Großstadtgetös',
das meinen wehen Einsamgang umjohlt:
zu gehn, wie man einst durch die Felder ging,
durch verschollenes Dorf und Abendwald,
eins mit der Stille der Zeit, die mütterlich mich umfing,
und wie sie so jung oder alt!
Nur er blieb mir von damals, der Blick, der scheue,
der sich verstohlen eine Heimat sucht,
einen Winkel für sich, wo er jeden Morgen aufs neue
zur Vergangenheit betet, der Gegenwart flucht
und eine Zukunft erträumt, die über den beiden
ihn zu sich selber bringt,
was er einst versäumt an den blühenden Weiden,
Liebe zu leiden ihn zwingt. . .
Der Blick in die Welt, wie sie ist, gewagt,
darf ihn nicht töten, hält er ihm stand,
hat er einmal das richtige Wort gesagt,
öffnet vor ihm sich des Berges hartherzige Wand,
sieht er im Zimmer des Feindes das Fliederbukett,
zärtlich gehütet am Tisch, und den Lieblingshund
und die geliebte, stets kränkliche Frau im Bett
und ist mit allem Dulden im Bund.
Nichts ist mehr so lächerlich, daß er's belacht,
in der Flasche des Trunkenen schimmert es grün,
auf dem kargen Hofbalkon läßt eine Nacht
bunteste Blumen erblühn.
Ich geh' unter ihnen hin, ziellos und ohne Sinn,
singend, als war' ich allein auf weiter Flur,
grüße das leuchtende Zifferblatt am Turm, dem ich Bruder bin
mit dem gefaßten Blick auf meine Armbanduhr.


03. 12. 1924

Die Glocken

Die Glocken hängen im Turme totenstarr
wie Riesenfledermäuse im Tagesschlaf,
aber sie werden durch unsre Träume fliegen,
wenn sich die Birken der Liebe im Winde biegen,
mein Schatten am Bache deinen Schatten traf,
die Nacht lacht wie ein Narr.

Es klingelt an seiner Kappe das Silbergestirn,
wenn er sie kichernd über die Lider uns zieht
und wir nur noch in unsere Sehnsucht blicken,
wie Blinde uns im Traumdickicht verstricken,
der eine den andern und sonst nichts mehr sieht
und wünschte, ewig so blind durchs Leben zu irr'n

Aber die Glocken läuten mit dumpfem Ton
wie das Gewissen, das unser Wachsein will,
und es fallen die Schatten, es löst sich Umarmen.
Es hat die Nacht für den Schwachen auch kein Erbarmen,
pfeift wie hetzende Greifer schrill,
jagt mich in eine Falle, fängt mich voll Hohn.

Plötzlich ist sie ein bösartig quälender Narr,
dessen Schlag mich Schwachen grausam traf.
Die Birken der Liebe vernichtet liegen.
Nichts hat Flügel, durch unsre Wünsche zu fliegen.
Wie Riesenfledermäuse im Tagesschlaf
hängen die Glocken im Turme totenstarr.


 13. 10. 1924

 An eine Promenadenbank

Eine Bank am Wege, fremd, verlassen,
kaum vom herbstlich fahlen Mond gestreift,
wartet auf den Flüchtling aus den Gassen,
wenn der Nachtalarm der Wächter pfeift,
daß er hinter dieser Bank sich berge,
bis die wilde Jagd vorübersprang,
bis der letzte Hund, der letzte Scherge
Schatten ward im dunklen Laubengang.
Kirchenbank, an der ein Büßer kniete,
bis er endlich wieder Atem wagt,
er in der Rache Macht geriete,
macht den Dankbaren nicht mehr verzagt.
Und nun schlägt die Uhr mit gleichem Tone,
wie sie in der Heimatstadt erschallt;
damals winkte zärtlich vom Balkone
dann das Mädchen, dem sein Schwärmen galt,
saßen vorher auf der Bank sie nächtlich,
vom Theater kommend, Hand in Hand,
keusch und schüchtern, während er verächtlich
seine eigne Häßlichkeit empfand.
Und er bringt sie heim und geht verlegen,
um nachher mit fremdem Pack im Schank
zynisch aufzutrumpfen und verwegen,
doch geheim erbebt er sehnsuchtskrank,
wird er sich aus Gram und Scham betrinken,
bis er alles Glück und Leid vergaß,
und im Heimwärtswanken wieder sinken
auf die Bank, wo er mit ihr einst saß.
Bäume rauschen, und die Winde tragen
welkes Laub durch seine Träumerei,
Schatten plappern irr und Autos jagen
wesenlos an seinem Weh vorbei.
Blickt er auf, ist nur der Lampen Schwanken
wie Theaterspuk um wahren Gram,
tanzen zu geziert die Efeuranken
vor der Weinterrasse Melodram,
daß er, nichts zu sehn mehr und zu leiden,
nach der Waffe in die Tasche faßt,
sich für ew'ges Schweigen zu entscheiden,
fortzugehn als unerbet'ner Gast,
der das Leben niemals weiß zu meistern.
Grammophon und Gläserklirren mahnt. . .
Ob den Larven, die dort trunken geistern,
je etwas von meiner Tragik schwant,
meinem einsam Lieben, einsam Hassen?
Nichts bleibt, ging er ohne Wiederkehr,
als die Bank am Wege, fremd, verlassen,
tot im herbstlich fahlen Mond wie er!


August 1925

Die Spieler

Vielleicht seit gestern sitzen schon die beiden
an ihrem Schachbrett, ganz ins Spiel verstrickt.
Der eine sieht nicht dieses Mädchen leiden,
das fruchtlos zärtlich auf die Hand ihm blickt.
Der andre weiß nichts von dem bösen Flüstern,
das mit dem Fremden seine Frau begann,
und daß ein ganzer Chor von Spöttern lüstern
sich weidet am betrognen Ehemann.

Unwirklich in des Kaffeehauses Brandung
und unberührt von Tönen, Licht und Luft,
altväterisch an Miene und Gewandung,
wie starre Puppen einer Totengruft,
hocken die zwei seit ungezählten Zeiten
beim Spiel, das nie Gewinst bringt, nie Verlust,
versäumen ihres Lebens Seligkeiten
und werden keiner Trauer sich bewußt.

Wer sie verläßt und wer sich an sie klammert,
bleibt unbeachtet ihrem blinden Spiel,
der Bettler, der um eine Gabe jammert,
und wer sich treulos im Verrat gefiel,
sind für die Spieler nicht zu unterscheiden
von Regen, Schnee, unnützer Winde Wehn.
An ihrem Schachbrett sitzen diese beiden,
ob Welten werden oder untergehn.


09. 03. 1926

Sturm

Es riß der Sturm die silbernen Gestirne
vom Himmel ab und warf sie in den Kot.
Nun ist es ewig Nacht. Die Tiere schweigen.
Die Blumen welken, und die Welt ist tot.

Wir haben noch in ungewissen Zimmern
künstliches Licht, geschützt vor Meer und Wind.
Doch wenn wir uns hinaus ins Leben wagen,
stehn wir erschrocken, hilflos und wie blind.

Die wilden Jagden wehn an uns vorüber,
und aller Höllen Tor ist auf getan.
Wir traun uns nicht auf schwankem Grunde weiter.
Durchs Waldgebirg' entfesselt rast der Pan.

Sein Schlachtruf schallt. Er sammelt seine Heere
und stürmt mit ihnen in die Stadt hinein.
Die Wände wanken und die Glocken stürzen.
Bald wird die Zeit ein großes Schweigen sein.

Nur Stein an Stein, und Flut, und Moor, und Scholle.
Hat jemals hier, was Menschheit hieß, gewohnt?
Nur ew'ge Nacht. Kein Vogel singt. Es atmet
kein Reh. Es leuchtet Sonne nicht und Mond.


 10. 06. 1924

Der Lebensleugner

Versagt ist ihnen, was die Straßen schenken:
den Bettler an der Ecke segnet mehr
als jene, welche stets die Stirnen senken
und gehen wie die Büßenden einher.
Sie finden keine freundliche Taverne
und sind auch ohne Armut mehr als arm,
denn immer sehnen sie sich nach der Ferne,
und ihre Herzen haben niemals warm.
Der dürftige Strauch im Gärtchen vor dem Hause,
der einem Keller Sommerliches lügt,
das Publikum in der Theaterpause,
dem schon das bißchen freier Hof genügt:
wie sind sie miteinander eines Blutes!
Der Mond, im Spiegel der Cafes erblickt,
tut blassen Mädchen etwas Märchengutes
und hat sie abenteuerlich verstrickt.
Es streichen Katzen durch die Nachtgesträuche,
es schleichen Mörder. Hold Umschlungne ruhn,
den Mond entzündet rot ihr Lustgekeuche,
die Gräber heben an sich aufzutun.
Selbstmörderschrei erwürgt die Wucht der Fluten.
Es rauscht ein Wehr. Es lauert Eifersucht.
Gehetzte, welche nächtelang nicht ruhten,
sind noch im Traum am Zaune auf der Flucht.
Lautlose leeren Trunkenen die Taschen,
ein Irrer schimpft auf ein Gestirn, ganz mild.
Mit Himmelslicht gefüllt glänzen zwei Flaschen,
zwei weggeworfne, wie ein Silberschild.
Und Lieder steigen auf aus Obdachlosen,
die immer schwiegen und verschüchtert sind.
Schnapsbruderatem duftet süß wie Rosen,
rohe Matrosen sind zu Dichtern lind.
Und Arme werden ihr Almosen schenken
dem Schwindler, daß sie mit ihm glücklich sind.
Nur jenen hilft, die stets die Stirnen senken,
nicht Tag, nicht Nacht mit einem Angebind'.


03. 06. 1924

Gespenst der Sommerabende

Die Helligkeit, die gespenstisch späte,
dieser endlosen Sommerabende schreckt:
in ihr ist des Sterbens Verwesen versteckt,
sie spiegelt die Schärfe der Totengeräte.

So heimtückisch hell wird Weltende blenden,
keine Nacht mehr Morgenschimmer verheißt,
wenn der Vorhang des Himmels für immer zerreißt
und die Engel sich von uns wenden.

Des Mondes Sichel hängt an unserm Nacken,
daß alle das Blut auf ihrer Schneide sehn,
von den Sternen eiskalte Schauer wehn,
fahl die Häuser stehn wie Pestbaracken.

In der leeren Stadt spielt ein Kind vor der fahlen
Helligkeit, die gespenstisch schreckt.
Keine Lampe. Dennoch dreht ein Insekt
sich sterbend wie in Flammenqualen.

Keine Mutter wird dieses Kind mehr rufen,
es spielt sich in letzte Ermüdung hinein.
Morgen müssen Jahrzehnte vergangen sein,
rastet es auf den Ruinenstufen.

Und wird wieder weiter vom Glänze gejagt,
der nicht lieben, nicht enden mag,
der gleicherweis' nächtigt und gleicherweis' tagt
und Schatten bleibt als Nacht wie als Tag.

Das Erschöpfte werden die Grüfte beglücken,
weil ihr Dunkel es gnädig verhüllt.
Dies Opfer hat den Sommer erfüllt:
Herbst beginnt den Bau düsterbergender Winterbrücken.


 

Lied vom Chaos

Uber das Land zieh'n Schwärme geflügelter Lügen aus Norden,
verdunkeln das Licht und trüben der Meere blauspiegelndes
                  Blüh'n,
der weiße Strand ist von ihrem Unrat aussätzig geworden,
der Mond scheint nicht, es ergraut der Wälder sturmduftendes
                  Grün.

Wir steigen verzweifelt die Stufen hinauf und hernieder,
zur Fischerhütte vom Leuchtturm, zum Ufer vom Berg,
wir neigen das Ohr zum Quell und singen ihm Lieder,
beschwören den Wurm und rufen die Nixe, den Zwerg.

Die Verzweiflung ist groß: wie kann man sich vor den
                Menschen retten?
Sag' ich »Bruder« zum Holz, zerbricht es mir in der zärtlich
                 zitternden Hand.
Gefährlich ist der Mutter Erde Schoß; Haus, Hof und Bett
                 haben Ketten,
die Dinge spielen ihren Stolz jetzt gegen unsern aus,
                der vor dem Dunkel dieser Stunde schwand.

Wir logen einst selbst zuviel, nun sind wir wehrlos gegen
                diese Scharen,
und wenn du weinst, ist es ein Spiel für ihre lachend
                verbrachte Rast.
Erinnern wir uns voll Scham, wie auch wir herzlos und
                Mörder waren,
daß es nun so kam, dünkt mich dann gerechte Buße und
                Rache fast.

Wir ergeben uns, kauern uns verhüllten Hauptes an den
               Stein, den die Brandung
immer wieder mit schwarz anprallendem. Haß überstürzt
               und endlich verschlingt. -
Vielleicht leben und trauern um uns morgen Sternenkinder,
               denen die Landung
in unser zerstörtes Weltall zu spät und sinnlos gelingt. . .


21. 11. 1924

Novemberabend in der Vorstadt

Die frühe Dunkelheit der Vorstadtstraßen
läßt wie ein Zaubrer Ding um Ding verschwinden.
Die Masken, die im Trambahnwagen saßen,
den Zug zu Fuß wird niemand wiederfinden.

Vieh wurde wie in einen Sack getrieben.
Wo ist das Liebespaar, am Licht noch eben
des Schaufensters, im Augenblick geblieben,
die Schar der Kinder, die schon nicht mehr leben?

Der Rummelplatz, der noch vor kurzem blühte,
ist jetzt ein unheilvolles Nichts am Wege,
und wo sein Karussell so bunt erglühte,
grinst das Skelett bösart'ger Drahtgehege.

Bisweilen sticht ein Kino mit Reklamen
ein grelles Gelb ins hoffnungslose Dunkel,
schleudern die Droschkenpferde aus dem lahmen
Asphaltstepp ihres Hufschlags ein Gefunkel.

Es schläft das Bänkerund der Promenade,
auf dem verschwärmt die müden Träumer saßen.
Und Klang und Farbigkeit fraß ohne Gnade
die frühe Dunkelheit der Vorstadtstraßen.

Man ahnt das Rascheln dunkler Totenkäfer,
die in den dürren Straßenbäumen warten,
und plötzlich dämpft den Schritt ein heil'ger Schläfer:
mitten im Häuserblock ein Friedhofsgarten.

Ich schwinde selbst und bin schon nur noch Schatten.
Geh ich allein? Geh ich mit andern vielen?
Duft eines Blumenladens macht ermatten
den Blinden, den Geheimnisse umspielen.

Likörgeruch spür' ich aus Schänken winken
und einer Parfümerie süße Verführung;
in dunkelnder Spelunke möcht' ich trinken
des brüderlichen Dunkels Wohl voll Rührung.


 11. 09. 1923

Vergänglichkeit

Ins Bild gewirkt sind Inseln silberstrichig,
bezopfte Große thronend unterm Mond;
die Küste birgt Gesindel, das schiffbrüchig,
Bootsleute werden vor dem Tor entlohnt.

Das alles war. Vergangener Gedanke,
Spiel in Gesichten, die für Blinde sind,
lausch' ich, berauscht von zauberhaftem Tranke,
Träumen, die Sterne einem Kinde sind.

Die wünscht es sich herab in seine Hände
und achtet nicht an seinem Fuß das Gras,
und überm Ahnengrab die Weltenbrände
sind seiner Torheit ein Johannis-Spaß.

Es wirft hinaus ins Meer die goldnen Spangen,
winkt der Galeere, die der Räuber führt.
Der war beim letzten Fang leer ausgegangen,
und keine Zähre hat ihn je gerührt.

Er wird das Kind, das ihm so gern vertraute,
gekreuzigt hissen an dem höchsten Mast.
Lind wehte Wind, der Himmel ewig blaute:
Traumglück, dem du dich selbst entrissen hast.

Das alles war. Ins Bild gewirkt. Gedanke.
Spiel in Gesichten, groß und ungewohnt.
Und barg Gefahr und kannte keine Schranke,
sich zu vernichten unterm kalten Mond.


06. 12. 1924

Der wundersame Rock

Er war in seinem Zimmer wie gefangen
und fühlte es, und plötzlich nahm sein Blick
den Rock, der lang' schon überm Stuhl gehangen,
so deutlich wahr, als berg' er sein Geschick.

So trostlos schlotterten die nackten Falten,
die händelosen Arme sanken schwach,
zu schlaff, sich in das Daseins Kampf zu halten,
und keines Knopfes Auge mehr war wach.

„Du armer Rock, hast stets mit mir geduldet,
und heut' erst seh' ich deinen treuen Dienst
und deine Armut, die ich selbst verschuldet.
Wie du mir jetzt als guter Geist erschienst!

Wir beide sind schon lang' nicht mehr zu brauchen,
wir wankten, welkten, wurden grau und alt
und müßten längst unsichtbar untertauchen,
die Welt befrein von unsrer Ungestalt.

Du aber wurdest alt und abgetragen,
weil du dich opfertest für deinen Herrn.
Er sah dich nie in seinen guten Tagen,
genoß undankbar deine Wärme gern.

Was nützt es nun dir, Kleid, wenn ich dich streichle
und sage, daß, wie du, mir nichts mehr nah?
Du argwöhnst, sehr begründet, daß ich schmeichle,
seit ich von allen mich verlassen sah.

Soll ich dir besseren Beweis aufdrängen?
Wie zwing' ich dich, gerechte Zweiflerin?
Ich werde mich am Fensterkreuz aufhängen,
daß ich, wie du, für immer leblos bin!“

- Da fühlt er, daß ihn liebevoll umfassen
Arme aus Tuch, er spürt der Welt Verzeihn,
und war in dieser Nacht nicht mehr verlassen,
schlief sanft in zärtlicher Umarmung ein.Der wundersame Rock

Er war in seinem Zimmer wie gefangen
und fühlte es, und plötzlich nahm sein Blick
den Rock, der lang' schon überm Stuhl gehangen,
so deutlich wahr, als berg' er sein Geschick.

So trostlos schlotterten die nackten Falten,
die händelosen Arme sanken schwach,
zu schlaff, sich in das Daseins Kampf zu halten,
und keines Knopfes Auge mehr war wach.

„Du armer Rock, hast stets mit mir geduldet,
und heut' erst seh' ich deinen treuen Dienst
und deine Armut, die ich selbst verschuldet.
Wie du mir jetzt als guter Geist erschienst!

Wir beide sind schon lang' nicht mehr zu brauchen,
wir wankten, welkten, wurden grau und alt
und müßten längst unsichtbar untertauchen,
die Welt befrein von unsrer Ungestalt.

Du aber wurdest alt und abgetragen,
weil du dich opfertest für deinen Herrn.
Er sah dich nie in seinen guten Tagen,
genoß undankbar deine Wärme gern.

Was nützt es nun dir, Kleid, wenn ich dich streichle
und sage, daß, wie du, mir nichts mehr nah?
Du argwöhnst, sehr begründet, daß ich schmeichle,
seit ich von allen mich verlassen sah.

Soll ich dir besseren Beweis aufdrängen?
Wie zwing' ich dich, gerechte Zweiflerin?
Ich werde mich am Fensterkreuz aufhängen,
daß ich, wie du, für immer leblos bin!“

- Da fühlt er, daß ihn liebevoll umfassen
Arme aus Tuch, er spürt der Welt Verzeihn,
und war in dieser Nacht nicht mehr verlassen,
schlief sanft in zärtlicher Umarmung ein.


Mitte Januar 1924

Das Liebeswunder
(Für Arnold Ulitz)

Wer am Abend diese Straße kam,
fand am alten Platze stets das Paar,
das in seiner Liebe, ohne Scham,
an die Wand gebannt wie gestern war,
das nur sich und immer sich nur sah,
im Erlebnis seiner Lust verging:
sternenfern der Welt und blumennah
Mann und Mädchen Brust an Brust sich hing.
Keine Not bestand vor ihrem Blick,
nirgends starb ein Mensch in ihrem Glück,
Hunger, Tod und jedes Nachtgeschick
warf ihr Flammenmeer zum Strand zurück.
Jeder Mörder wich vor ihnen aus,
Wut und Rache ward an ihnen zahm,
der Betrübte ging versöhnt nach Haus,
und wer eben weinend Abschied nahm,
war des Wiedersehens ganz gewiß,
Spötter wurden unwillkürlich mild,
mitten in der dichten Finsternis
strahlte dieses Paares Heiligenbild,
das in seiner Liebe, ohne Scham,
an die Wand gebannt wie gestern stand.
Wer verlassen diese Gasse kam,
ging fortan geführt von Engelshand.


März 1923

Weltuntergang

In den Felderfurchen nächtigten Attentäter
vor dem Morgen, der allen Tod verheißt.
Fluchend wurden die Ärmsten der Armen Väter.
Der Hilflose erwachte und war verwaist.

Sterne regneten Aussatz über das Nackte,
in dem Gräbergestrüpp faulte das Altartuch.
Eines Mühlrads Geklapper mit hallendem Takte
höhnte für Liebender Leben Verwesungsfluch.

Lachen gellte und jagte aus Sträuchern die Vögel,
zerbrach dem Acker den Schlaf und schlug das Getier,
kam von dem Wolkenschiff mit dem blutroten Segel
und fuhr klirrend hinab in das Höllenrevier.

Die Gestorb'nen begannen unter den Schollen zu wandern,
nirgends war ein Obdach im Aufruhr der Tiefen gewiß,
fremd das Gleiche, unheimlich ein Bruder dem andern,
die Vernichtung begann: durch die Welten ging mitten
                 der Riß.


02. 03. 1923

Weltauferstehung

Wenn das ledige Roß über die Felder jagt,
Kinder sich bräutlich umarmen,
jauchze: Traumerfüllung tagt,
Pan wird sich deiner erbarmen!

Dianas waldige Wand zwischen den Tälern fällt,
Türme und Hürden zerstieben,
Sümpfe schlucken das Judasgeld,
Feinde müssen sich lieben.

Deiner Vereinsamung Lied zärtlich den Freund zu dir zieht,
Schwestern trennt kein Verschweigen.
Was aus zierlicher Scham voreinander flieht,
blüht in des Morgenbaums Zweigen.

Rot ein neuer Stern neue Umarmungen grüßt,
Küsse neuer Geschwister,
Trunkenheit ewigkeitsneu versüßt
meerentstiegenen Urwalds Geflüster.

Falter, den du nicht kennst, Gazelle, nie gesehn,
Laute, unerhört, dich umhauchen.
Übers jungfräuliche Meer wird kein Totengott gehn.
Weltauferstehung. Die Opferfeuer der Vulkane rauchen.


 

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